Beratung als transnationale Kulturtechnik im ländlichen Kontext

Fritz Baade (1893-1974), später Direktor des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, war einer der prominentesten deutschen Agrarwissenschaftler, der im Mittelmeerraum landwirtschaftliche Modernisierungsprogramme vorantrieb.

(Verleihung des Kulturpreises 1970 an Prof. Fritz Baade, Stadtarchiv Kiel, CC BY-SA 3.0 DE)

Die Politiken europäischer ländlicher Modernisierung waren eng verwoben mit den Anliegen einer „Inneren Kolonisierung“ – einer Erweiterung, Erschließung und Kontrolle bislang rückständiger ländlicher Gebiete im eigenen Land.  In den ostdeutschen Gebieten wurden etwa im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert zahlreiche solcher Projekte angestoßen, die in den landwirtschaftlichen Versuchs- und Ausbildungsstationen (als erstes etwa im sächsischen Möckern 1851) ihren sichtbarsten Ausdruck fanden. Auch die landwirtschaftliche Genossenschaftsbewegung stand im frühen 20. Jahrhundert in dieser Tradition. 

Sowohl im Rahmen einer kryptokolonialen Wirtschaftspolitik der Zwischenkriegszeit, wie auch neuer Produktivitätsprogramme in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurden solche Institutionen ländlicher Modernisierung auch im Mittelmeerraum etabliert. In der Türkei oder in Tunesien entstanden landwirtschaftliche Musterbetriebe, in anderen Ländern wurden insbesondere Programme zum Aufbau von ländlichen Genossenschaften etabliert und durch Berater aus mitteleuropäischen Ländern unterstützt. Auf deutscher Seite engagierten sich auch zahlreiche ehemalige Exilwissenschaftler, die aus politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, in solchen Projekten.


Im Türkischen Tahirova wurden früh die tatsächlichen und die zukünftigen Erträge berechnet.

Die Musterbetriebe sollten dabei nicht nur technologische Innovationen und die aus den USA oder Europa exportierten Landmaschinen verbreiten, sondern auch Unternehmergeiste oder Grundlagen für landwirtschaftliche Buchhaltungstechniken verbreiten. 


Bereits in den frühen 1960er Jahren wurde im „Merinoprojekt“ versucht, die Viehwirtschaft im Mittelmeerraum zu reformieren.

Doch zunehmend waren sie auch als Motoren der Veränderung regionaler und nationaler landwirtschaftlicher Praktiken gedacht: neue Züchtungsprojekte hatten nicht nur Sortenverbesserungen zum Ziel, sondern es ging auch darum, durch Züchtung neuer Rinder- oder Schafsrassen einen neuen wirtschaftlichen Schwerpunkt für die örtliche Landwirtschaft zu erreichen.


Solche Projekte machte die westlichen „Experten“ allerdings auch abhängig von der Zusammenarbeit mit der örtlichen Bevölkerung und deren Wissen. Gerade diese dialogische Dimension des gegenseitigen Lernens und die sozialen Bedingungen von Wissensflüssen sollen in diesem Teilprojekt einen wichtigen Raum einnehmen.